Trau dich, eigensinnig zu sein!
Kinder können das: eigensinnig sein. Manchmal ist es bei ihnen allerdings Egoismus. Doch genau damit solltest du Eigensinn nicht verwechseln. Denn anders als Egoisten setzen eigensinnige Menschen zwar ihren Kopf durch, aber ohne anderen zu schaden. Wir sagen, warum das so wichtig ist.
Weniger nett sein, mehr eigensinnig sein
„Du Dickkopf!“ Was wie ein Vorwurf klingt, sollte richtig stolz machen: Denn Eigensinn ist der beste Schutz vor Erschöpfung und Depression und hilft dabei, authentisch zu sein und sich selbst zu verwirklichen. Wer eigensinnig ist, hat einen Startvorteil im Leben: „Erst der Eigensinn ermöglicht es einem Menschen, sein volles Potenzial zu entfalten und zu dem Menschen zu werden, als der er gedacht ist“, sagt Psychologin und Autorin Ursula Nuber in ihrem neuen Buch „Eigensinn“.
Manch eigensinnige Person mag auf andere eigenbrötlerisch wirken, bekommt öfter zu hören: „Immer denkst du nur an dich.“ Das stimmt nur halb, denn eigensinnige Menschen denken sehr wohl an andere, doch sie wissen ihren Standpunkt zu artikulieren – und machen sich unabhängig von dem, was andere Menschen meinen. Zugleich akzeptieren sie, dass es andere Meinungen gibt. „Die Haltung ‚Hier bin ich, und dort bist du‘ ist ein wesentliches Merkmal eines eigensinnigen Lebens“, schreibt die Expertin.
Wer nicht eigensinnig ist, dem fehlt die Chance, sich von anderen abzugrenzen und an die eigenen Bedürfnisse zu denken. Kurz gesagt: Man steckt in der Nettigkeitsfalle. Nette Menschen bekommen gesagt, sie könnten so gut zuhören und sich in andere hineinversetzen. Nette Menschen unterstützen andere. Nette Menschen sind angenehm, da sie selten streiten. Alles schön und gut – aber gut ist das meist nur für die anderen. Expertin Nuber dazu: „Denken Sie daran: Nettigkeit ist keine Garantie dafür, dass sich andere ebenfalls nett, fair und respektvoll verhalten. Im Gegenteil: Wer zu nett ist, lädt seine Mitmenschen geradezu dazu ein, die Grenzen zu übertreten.“

Das Problem ist: Menschen ohne großen Eigensinn fühlen sich oft erschöpft und ausgebrannt. Sie schaffen es nie, alles zu erledigen. Kein Wunder, schließlich wollen sie es allen recht machen (und vergessen darüber auf sich selbst). Und manchmal taucht er dann auf, dieser Gedanke: „Wer interessiert sich eigentlich für mich?“ Menschen, die zu wenig Eigensinn besitzen, haben ein großes Problem, so die Psychologin: Sie verlieren den Bezug zu sich selbst.
Menschen mit zu wenig Eigensinn haben in der Kindheit gelernt, dass es nicht erwünscht ist, den eigenen Willen durchzusetzen. Bravsein, lernten sie, ist eine größere Tugend, als für seine Autonomie einzustehen. Und solche Kinder haben früh gelernt, sich in andere Menschen einzufühlen und für sie da zu sein, analysiert Nuber.
Wie aber kommt man nun wieder heraus aus der Nettigkeitsfalle? Das wichtigste Wort ist: Nein! Ob zu Kollegen, die mal wieder ihre Arbeit auf dich abwälzen wollen. Oder der Partner, der unbedingt jetzt und sofort Sex haben will (okay, den willst du auch, aber nicht im Moment). Oder die Kinder, die dich nicht in Ruhe Zeitung lesen lassen wollen. Oder die Freundin, die dir am Telefon zum x-ten Mal über die neuesten Wendungen in ihrer On-Off-Beziehung berichtet. Expertin Nuber rät: „Wenn Sie sich ausgenutzt fühlen und ein zu netter Mensch sind, dann befreien diese eigensinnigen Gedanken Sie aus der Nettigkeitsfalle:
- Das will ich nicht!
- Ich bin auch wichtig und interessant!
- Ich muss nicht immer Rücksicht nehmen!
- Ich muss deine Erwartungen nicht erfüllen!
- Ich muss mich nicht rechtfertigen!“
Am Anfang fällt es netten Menschen sicher schwer, Nein zu sagen. Dann, sagt Nuber, helfen Sätze wie „Ich werde darüber nachdenken“ oder „Ich fühle mich nicht wohl dabei“. Das Wichtigste ist, herauszufinden, was man selbst wirklich will, und für diese Wünsche auch einzustehen, sie zu artikulieren. Denn nur so kann man öfter Nein zu anderen und mehr Ja zu sich selbst sagen.