Bloß keine falsche Scham
Schäm dich (nicht)! Was ist gut daran, sich zu schämen? Verraten wir hier! Aber auch, wieso Schuldgefühle oft überflüssig sind.
Wozu Scham gut ist
Es muss nichts Weltbewegendes sein, weswegen wir uns schämen. Vielleicht, weil wir ein englisches Wort falsch aussprechen. Oder uns ein Stück Toilettenpapier am Schuh klebt. Oder wir wieder einmal verspätet zu einer Verabredung kommen. Oder, oder, oder.
Sich zu schämen ist ein höchst unangenehmes Gefühl. Unser Körper stellt uns genau in dem Moment zur Schau, in dem wir etwas falsch gemacht haben: Unser Kopf läuft feuerrot an, der Puls rast, und die Stimme versagt. „Das Gefühl, schutzlos den Blicken anderer ausgeliefert zu sein, ist eines der entscheidenden Elemente der Scham und stellt eine enge Beziehung zwischen Scham und Ansehen her“, sagt Jennifer Jacquet, Autorin des Sachbuches „Scham“. „Um Scham zu empfinden, ist ein Publikum nötig, auch wenn dieses Publikum lediglich im eigenen Kopf existiert.“
Stellt uns die Scham also bloß? Im Gegenteil, sagen Experten: Sie schützt uns – unsere Intimität, unser Innerstes. Denn sie ist ein ganz starkes Warnsignal, wenn wir eine Grenze überschritten haben – und wenn andere uns zu nahe kommen. Scham fördert nicht nur unser Gefühl für die eigene Identität, sie hält uns auch davon ab, Normen zu missachten. Sprich: Sie wahrt unsere Würde und regelt das gesellschaftliche Zusammenleben.
Sich zu schämen ist also gut, richtig und wichtig. Schamgefühle können uns antreiben, unser Ich zu hinterfragen, unser Verhalten zu ändern, zu reifen. Wer sich schämt, will es beim nächsten Mal besser machen. Auf das superunangenehme Gefühl kann man nämlich gut verzichten.

Es gibt aber auch Momente, in denen Scham völlig fehl am Platz und überflüssig ist! Wenn wir uns nicht trauen, sexuelle Wünsche auszusprechen etwa. Wenn wir nicht zur Vorsorgeuntersuchung gehen. Wenn wir glauben, zu dick oder unseren Kindern eine schlechte Mutter zu sein. Das hat dann aber meist nichts mit Scham zu tun, sondern mit einem Selbstwertproblem. Es fühlt sich nur gleich an. Gerade Frauen lernen schon in jungen Jahren, nicht für ihre eigenen Bedürfnisse geradezustehen. Statt zu sagen, was sie wollen, üben sie sich in falscher Bescheidenheit. Wer es schafft, von solchen inneren Glaubenssätzen loszukommen, befreit sich von falscher Scham.
Und noch etwas greift die eigene Würde, den Selbstwert an, ohne das Positive von Scham mit sich zu führen: die Beschämung. Die Therapeuten Udo Baer und Gabriele Frick-Baer nennen sie die Doppelgängerin der Scham. „Sie macht die Menschen fertig. Sie werden ausgelacht, beleidigt, gedemütigt, verachtet“, schreiben sie in ihrem Buch „Das ABC der Gefühle“. Scham taucht beispielsweise im Zusammenhang mit Mobbing auf oder wenn jemand blöde Bemerkungen über ein Outfit macht. „Das Dumme ist nur, dass sich die Beschämung genauso oder zumindest ähnlich wie die Scham anfühlt.“ Erst wenn die Betroffenen es schaffen, Beschämung und Scham auseinanderzuhalten, „können sie darangehen, sich der Beschämung zu erwehren und sie an die Absender/innen zurückzuschicken“, empfehlen die beiden Experten. Die nötige Kraft dafür holt man sich am besten im Gespräch mit einem Menschen, dem man vertraut.